amsel: Fehlgeleitete „MS-Zellen“-eine Ursache gefunden?

Multiple Sklerose Viren

Forscher der Universität Zürich haben möglicherweise Bahnbrechendes entdeckt: Zellen, welche die Blut-Hirn-Schranke überwinden und im zentralen Nervensystem Multiple Sklerose auslösen können.

Ob die neu entdeckte MS-typische Zellpopulation tatsächlich die Multiple Sklerose auslöst – es ist noch zu früh, das mit Gewissheit zu sagen. Erst müssten weitere Studien die Züricher Egebnisse bestätigen, so Prof. Dr. Burkhard Becher, Leiter der aktuellen Studie am Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich (UZH) und Sobek-Nachwuchspreisträger 2004. Doch Hinweise dafür fand die Züricher Forschergruppe.

Bei Multiple Sklerose kommt es regelmäßig dazu, dass körpereigene Abwehrzellen ins Gehirn und ins Rückenmark (ZNS) eindringen und dort die Nerven und somit ihre Funktion schädigen. Unternimmt man nichts dagegen, vergrößert sich der Schaden und die entsprechenden Ausfälle und Behinderungen werden auch größer. Wobei dazu gesagt werden muss, dass die Schwere der MS und die Art der Symptome sowie das Ausmaß an Behinderungen individuell sehr unterschiedlich ausfällt. So kann ein Patient ein Leben lang ohne Gehhilfe auskommen, während ein anderer bereits in jungen Jahren auf Gehhilfen wie Stock, Rollator oder Rollstuhl angewiesen ist. Manche Betroffene leiden so stark an Fatigue, dass sie nicht mehr arbeiten können, andere haben gar keine Fatigue.

Näher an der Ursache bzw. den Ursachen der Multiplen Sklerose

Welche Abwehrzellen es genau sind, die bei einer Multiplen Sklerose fehlgeleitet werden, ist Gegenstand der Forschung seit Jahrzehnten. Kennt man die Ursache, so hat man eine Basis, um (noch) wirksamere Therapien zu entwickeln, denn bisher lässt sich die MS nur immunmodulatorisch bremsen, jedoch nicht ganz stoppen. Becher und sein Team haben nun im Blut von MS-Erkrankten eine Gruppe an weißen Blutkörperchen identifizieren können, welche zwei essenzielle Eigenschaften aufweisen, die eine Multiple Sklerose auslösen könnten: Diese Abwehrzellen überwinden die Blut-Hirn-Schranke und entzünden Nervenzellen.

Zwei moderne Technologien nutzten die Forscher bei ihrer Arbeit

Mit der hochdimensionalen Zytometrie lassen sich zig Millionen von Zellen bei hunderten von Patienten auf ihre Immunmerkmale hin untersuchen. Sie entwickelten spezielle Computeralgorithmen und nutzten künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen, um die riesige Datenmenge zu analysieren. Anschließend interpretierte das interdisziplinäre Team aus Medizinern, Computerwissenschaftlern und Biologen die Ergebnisse.

Ein Ansatz, um MS noch gezielter zu behandeln?

Die gefundene Zellpopulation aus dem Blut der MS-Patienten unterschied sich eindeutig von den Immunzellen im Blut anderer Patienten. Die T-Helfer-Zellen produzieren ein Zytokin (GM-CSF), das neuroinformatisch wirkt. Der Chemokinrezeptor CXCR4 und das Membranprotein VLA4 auf den Abwehrzellen wiederum sorgen dafür, dass diese durch die Blut-Hirn-Schranke schlüpfen und somit ins ZNS eindringen können.

Darüber hinaus fanden die Forscher diese „MS-Abwehrzellen“ bei MS-Patienten selbst, sowohl in der Hirnflüssigkeit als auch in den Läsionen. Und: Eine bestimmte MS-Therapie (die Pressemitteilung der Zürcher Universität äußert sich nicht genau, welche) bekämpft genau diese körpereigenen Abwehrzellen sehr effektiv.

Quellen: Nature Medicine, 22.07.2019; Pressemitteilung der Universität Zürich, 22.07.2019.

Redaktion: AMSEL e.V., 06.08.2019

amsel: Tatort Blut-Hirn-Schranke

Multiple Sklerose Hirn Blutschranke

Ein Enzym namens Kallikrein ermöglicht weißen Blutkörperchen, ins Gehirn einzudringen und eine Multiple Sklerose auszulösen und zu befeuern, so deutsche Forscher. Im Modell haben sie erfolgreich das Enzym und damit die MS unterdrückt.

Eigentlich haben weiße Blutkörperchen nichts im Gehirn zu suchen

Die sogenannte Blut-Hirn-Schranke sorgt bei gesunden Menschen dafür, dass diese Immunzellen vom zentralen Nervensystem fern bleiben. Bei Multipler Sklerose jedoch gelangen sie durch diese Schranke hinein und greifen körpereigenes Gewebe, genauer das Myelin, an.

Forscher der Universitäten Münster und Duisburg-Essen können nun zumindest teilweise erklären, warum die Blut-Hirn-Schranke bei MS durchbrochen wird. Ein Enzym namens Kallikrein verändere die Blut-Hirn-Schranke, aufdass sie diese Eindringlinge hindurchlässt. Aktiviert wird dieses Enzym durch den Gerinnungsfaktor XII. Dass der Gerinnungsfaktor im Entzündungsprozess der Multiplen Sklerose eine Rolle spielt, konnte das Forscherteam schon zuvor zeigen.

Gerinnungshemmer als neue Strategie gegen Multiple Sklerose

Den Forschern gelang es, sowohl am Menschen, genauer an den Entzündungsherden, besonders viel von der Vorstufe des Enzyms nachzuweisen. Aber es gelang ihnen zudem am Tiermodell zu zeigen, dass ein Fehlen des Enzyms eine MS verhindern bzw. eine bestehende MS abschwächen kann: Enthält das Plasma von Mäusen nichts von dem Enzym, erkranken sie weniger häufig an der Tier-MS. Das Gleiche passiert, wenn die Tiere ein Medikament bekommen, welches Kallikrein blockiert. Bei bereits erkrankten Tieren wird die Blut-Hirn-Schranke weniger stark beschädigt, außerdem ist die Entzündung unter dem Medikament weniger stark.

Das deutsche Forscherteam um Dr. Kerstin Göbel, Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz und Prof. Dr. Dr. Sven Meuth, letzterer ist Sobek-Nachwuchspreisträger 2010, sieht hier Möglichkeiten einer neuen Strategie, die MS zu bekämpfen. Möglicherweise, indem man die Gerinnungsfaktoren beeinflusst.

Quelle: Pressemitteilung der Universität Duisburg-Essen, 18.12.2018.
Redaktion: AMSEL e.V., 07.01.2019

amsel: Virus als Kind, Multiple Sklerose als Erwachsener?

Multiple Sklerose MRT Hirn

Ein schweizer-deutsches Forscherteam konnte anhand von Mausmodell und Mensch zeigen, dass eine Virusinfektion in einem bestimmten Zeitfenster in der frühen Kindheit die spätere Entstehung der Multiplen Sklerose (mit) begünstigen kann.

Dass bestimmte Viren, zum Beispiel das Epstein-Barr-Virus, eine spätere Multiple Sklerose (mit) verursachen könnten, wird schon lange vermutet. Auch gibt es bereits seit längerem die Hypothese, dass eine Virusinfektion in einem bestimmten Zeitfenster vor dem 20. Lebensjahr ursächlich sein könnte. Das mag bei einer Erkrankung wie der Multiplen Sklerose, die das zentrale Nervensystem (ZNS), also Gehirn und Rückenmark betrifft, damit zusammenhängen, dass die Entwicklung des menschlichen Gehirns erst mit ca. 20 Jahren abgeschlossen ist.

Können schon in der Kindheit die Grundmauern für MS gelegt worden sein?

Ein schweizer-deutsches Forscherteam um Professor Karin Steinbach hat nun konkrete Hinweise dafür geliefert, dass eine vorübergehende Virusinfektion, die in der frühen Kindheit Spuren im Gehirn hinterlässt, die spätere Entstehung einer Multiplen Sklerose mit auslöst. Im Mausmodell der MS hat eine temporäre Virusinfektion zu Beginn des Lebens – nicht jedoch danach – die spätere Entwicklung von Läsionen verstärkt und die Symptome der Maus-MS verschlechtert. Dabei traten die Autoimmunläsionen räumlich betrachtet genau in den Bereichen der früheren Virusinfektion auf.
Anhäufung von T-Zellen begünstigt spätere MS

Mausmodell myelin-spezifische
CD4 + T-Zellen

Genauer wurden im Mausmodell myelin-spezifische CD4 + T-Zellen, also Anzeichen der Maus-MS, bei den erwachsenen Mäusen exakt an die Stellen der früheren Virusinfektionen gelockt. Die frühe Infektion des Mäusegehirns hatte eine chronisch-entzündliche Signatur eingeprägt, welche aus hirnresidenten Gedächtnis-T-Zellen bestand und gehäuft an den Infektionsstellen im Gehirn auftraten anstatt, wie im gesunden Gehirn, gleichmäßig verteilt zu sein.

Die T-Zellen produzieren ein Molekül, den Chemokin-Liganden 5 (CCL5), welches (später) speziell Autoantikörper anzieht, die wiederum eine Autoimmunreaktion wie die MS hervorrufen. Blockierten die Forscher die Signalübertragung durch den Rezeptor, so entwickelten die Mäuse keine Hirnläsionen. Besonders interessant: Bei der Maus wie auch im menschlichen Gehirn befand sich das beschriebene Molekül vor allen an den Stellen mit mikroglialer Aktivierung, also dort, wo sich die jeweilige Autoimmunerkrankung wirkt.

So wichtig der Fund ist: Die Virusinfektion in jungen Jahren, wenn sich der Zusammenhang erhärtet, ist vermutlich nicht der einzige Faktor für das Entstehen einer MS. Das Forscherteam will hier weiterarbeiten, um die Ursache der MS besser zu verstehen und besser behandeln zu können. Vor allem interessiert die Wissenschaftler, warum eine Virusinfektion im späteren Leben keine solche Autoimmunreaktion auslöst. Nicht auszuschließen, dass solche frühen Gehirninfektionen auch andere Autoimmunreaktionen als nur die MS begünstigen.

Quellen: Pressemitteilung der Universität Genf, 26.06.2019; Science Translational Medicine, 26.06.2019. Redaktion: AMSEL e.V., 27.06.2019

amsel: Studie zu Kakao bei Multipler Sklerose

Multiple Sklerose Kakao

Dass Flavonoide des Kakaos die Fatigue verringern könnten, war bereits bekannt. Nun hat ein britisch-australisches Forscherteam den Effekt in einer doppelt verblindeten Studie gezeigt.

Dass Flavonoide antioxidativ wirken, wird schon lange vermutet. Bereits 2015 hatte die MS-Gesellschaft in Großbritannien gestartet, die Forschung zu Flavoniden gegen Fatigue zu unterstützen (amsel.de hatte berichtet).

Nun berichtet ein Forscherteam aus Großbritannien und Australien über positive Ergebnisse mit den Favoriten des Kakaos in einer kleinen, doppelt verblindeten Studie mit 40 Patienten. Alle Patienten haben einen schubförmigen Verlauf und Fatigue. 30 Patienten sind weiblich, zehn männlich. Aufgeteilt in zwei Gruppen nahm die eine Gruppe über sechs Wochen hinweg einen Kakaotrunk täglich mit hohem Flavonidtanteil, die andere Gruppe einen Kakaotrunk mit wenig Favonidanteil ein.

Gemessen wurden die Fatigue der Patienten per Fragebogen sowie ihre Ermüdbarkeit im Lauftest. Im Ergebnis zeigte die Gruppe mit hohem Flavonidanteil bei beidem Verbesserungen.

In diesen Lebensmitteln stecken viele Flavonide

Flavonoide sind sekundäre Pflanzenstoffe. Sie sind in echtem Kakao enthalten, und somit vor allem in heißer Schokolade mit hohem Kakaoanteil und Bitterschokolade mit einem Kakaoanteil von mehr als 70 %.

Außerdem finden sich viele Flavonoide vor allem in den Schalen roter Pflanzen:

  • rote Trauben
  • Äpfel
  • Rote Beete

Therapeutisch werden Flavonoide bereits beim Gefäßschutz eingesetzt, bei Magen-Darm-Beschwerden sowie manchen Lebererkrankungen.

Quelle: Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry, 04.03.2019.
Redaktion: AMSEL e.V., 18.03.2019

amsel: Impfen löst keine MS aus

Multiple Sklerose Medikamente

Eine große Menge an Patientendaten liefert eindeutige Hinweise:

Impfungen erhöhen das Risiko, an Multipler Sklerose erkranken nicht.

Ob Impfungen eventuell doch Multiple Sklerose auslösen könnten, das wird immer wieder diskutiert. Vor allem von Betroffenen in MS-Foren. Forscher der Technischen Universität München (TUM) konnten jetzt anhand riesiger Datenmengen zeigen, dass zwischen Impfungen und erhöhtem MS-Risiko scheinbar kein Zusammenhang besteht – eher im Gegenteil.

Dazu hat das Wissenschaftlerteam um Professor Bernhard Hemmer mit dem Datensatz der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) einen großen bevölkerungsrepräsentativen Datensatz ausgewertet. Er umfasst Daten von über 200.000 Personen, darunter über 12.000 MS-Erkrankte.
Impfen vielleicht sogar ein Vorteil?

Die Forscher betrachteten den 5-Jahres-Zeitraum vor der definitiven MS-Diagnose. Es zeigte sich, dass MS-Patienten in diesem Zeitraum sogar weniger oft geimpft wurden als Gesunde, und das, obwohl MS-Patienten mit einer Verdachtsdiagnose in diesem Zeitraum ausgeschlossen wurden.

Dies galt vor allem für Impfungen gegen

  • Hepatitis A und B,
  • FSME und
  • Grippe, aber auch für
  • Pneumokokken,
    Meningokokken,
  • Mumps,
  • Masern,
  • Röteln und Windpocken und
  • das Humane Papilloma Virus (HPV).

Um sicher zu gehen, dass das Ergebnis MS-spezifisch ist, verglichen die Forscher die Daten der MS-Patienten, welche die Kriterien erfüllten mit Patienten anderer chronischer Erkrankungen wie Schuppenflechte. Hier zeigte sich keine Auffälligkeit, was das Impfen angeht.

Bekannt ist, dass Multiple Sklerose meist schon einige Zeit besteht, bevor sie durch erste Symptome bemerkt und diagnostiziert wird. Andere Studien hatten bereits Verhaltensänderungen im Zeitraum vor der gesicherten Diagnose festgestellt. So sind zum Beispiel Bandscheibenvorfälle hier häufiger als in der allgemeinen Bevölkerung. Ebenso psychische Erkrankungen. Und, wie in der Pressemitteilung der TUM beschrieben, bekommen MS-Erkrankte auch weniger Kinder im Fünfjahreszeitraum, bevor sie diagnostiziert werden.

Multiple Sklerose: frühe Diagnose

Man spricht bei dem Zeitraum, in dem ein Patient vermutlich bereits erkrankt ist, aber nichts davon weiß, von der sogenannten Prodromalphase. Wichtig ist daher, und das ist eine bedeutende Schlussfolgerung der Studie, die Multiple Sklerose früher erkennen und diagnostizieren zu können. „Wir müssen geeignete Marker finden, um sie früher zu diagnostizieren. Das sehen wir als eine unserer wichtigsten Aufgaben,“ so Hemmer.

Erwähnt sei noch, dass Patienten mit Multipler Sklerose von Lebendimpfungen abgeraten wird. Lebendimpfungen wie zum Beispiel die Gelbfieberimpfung können einen Schub auslösen bei Menschen, die bereits an MS erkrankt sind, wie Dr. Martin Rösener kürzlich beim AMSEL-Symposium erklärte. In der vorliegenden Studie wurde jedoch das Risiko, überhaupt an MS zu erkranken, untersucht. Professor Doktor Mathias Mäurer empfiehlt in seinem MS-Docblogbeitrag zum Beispiel eine Impfung gegen Gürtelrose.

Quellen: Neurology, 30.07.2019; Pressemitteilung der Technischen Universität München, 31.07.2019. Redaktion: AMSEL e.V., 09.08.2019